Der beeindruckende Börsenparketthandel (auch Pit Trading genannt) mit hektischen, teils fragwürdigen Handzeichen und Zurufen, mittels derer millionenschwere Deals abgeschlossen wurden, hat sich durch die Digitalisierung zum algorithmischen Handel gewandelt. Künstliche Intelligenz (KI) dominiert bereits den Finanzmarkt und liefert Daten in Nanosekunden. Werden Jobs im Brokerage und in der Anlageberatung bald durch Maschinen ersetzt? Oder bleiben Wirtschaftskenntnisse und ein gutes Bauchgefühl weiterhin essenziell für eine seriöse, stabile Finanzstrategie?

Lösen Hochfrequenzhandel und KI-Systeme Erfahrung und Bauchgefühl ab?

Hochfrequenzhandel und algorithmische Systeme haben den Wertpapierhandel und die Anlageberatung längst revolutioniert. Diese Technologien treffen Handelsentscheidungen in Millisekunden und übertreffen dabei die Fähigkeiten menschlicher Broker:innen. Während Broker:innen noch von Intuition und Erfahrung profitieren, sind KI-Systeme effizienter und präziser. Der traditionelle Börsenhandel mit fliegenden Händen und geheimen Zeichen wirkt in diesem Kontext wie ein Relikt vergangener Zeiten. Bereits 2011 stellte die Frankfurter Börse das Pit Trading ein, da über 90 Prozent der Aktien elektronisch gehandelt wurden. In Chicago und New York folgte dieser Schritt für Futures 2015, während der klassische Aktienhandel dort noch beibehalten wird. Stand 2022 ist der Parketthandel aber weitgehend Vergangenheit (zu den Gründen hier gelesen am 08.06.2024: Pit Trading vs. Elektronischer Handel: Die Evolution des Finanzhandels).

Unternehmen wie BlackRock nutzen Algorithmen, um riesige Datenmengen zu analysieren und fundierte Investitionsentscheidungen zu treffen. Diese Algorithmen durchforsten Markttrends, Wirtschaftsberichte, soziale Medien und Nachrichten, um Muster zu erkennen, die menschliche Analyst:innen übersehen könnten. Mit maschinellem Lernen und KI reagieren sie in Echtzeit auf Marktveränderungen, passen Strategien an und maximieren die Rendite. BlackRocks Technologieplattform Aladdin dient dabei als zentrales Nervensystem und zeigt, wie tiefgreifend Algorithmen die Finanzwelt verändern.

Was geschieht, wenn KI-Algorithmen über Geldanlagen aufgrund von Social-Media-Daten entscheiden?

Stellen Sie sich vor, eine KI durchforstet Instagram, Twitter, LinkedIn und Facebook, um die besten Anlageformen zu finden und um Anlagetrends zu erkennen. Es gibt dabei keine menschlichen Fondsmanager:innen mehr, die begleitend Quartalsberichte und Marktanalysen studieren. Stattdessen analysiert ein Computer ausschließlich Likes, Shares und Hashtags im Sekundentakt. Klingt wie Science-Fiction? Das ist näher an der Realität, als man denkt. Algorithmen, die auf Social Media zugreifen, sind anfällig für Hypes und Fake-Informationen. Ein Beispiel dafür ist der Gamestop-Hype Anfang 2021, bei dem ein Reddit-Forum namens WallStreetBets diese Aktie durch koordiniertes Kaufen in die Höhe trieb – weit über den tatsächlichen Wert des Unternehmens hinaus.

Solche Ereignisse zeigen, wie manipulierbar und volatil die Märkte werden können, wenn soziale Medien die Oberhand gewinnen. Wenn KI-Algorithmen soziale Medien als Hauptquelle für Anlageentscheidungen nutzen, können sie leicht durch Fake News oder orchestrierte Kampagnen in die Irre geführt werden. Dies könnte die Börse anfälliger für Manipulationen machen und die Marktvolatilität erhöhen, da Algorithmen impulsiv auf jede Änderung der Online-Stimmung reagieren.

Wer überwacht die Algorithmen und stellt sicher, dass sie fair und ethisch handeln?

Es stimmt, dass KI und automatisierte Systeme in der Lage sind, riesige Datenmengen in Echtzeit zu analysieren und darauf basierend Handelsentscheidungen zu treffen. Doch der Finanzmarkt ist mehr als nur Daten und Algorithmen. Emotionen, menschliche Interaktionen und die Fähigkeit, unvorhersehbare Ereignisse zu bewerten, spielen dabei eine wichtige Rolle. Broker:innen und Anlageberater:innen haben nach wie vor einen Platz, insbesondere in Bereichen, wo Vertrauen und zwischenmenschliche Beziehungen entscheidend sind. Persönliche Beratung und maßgeschneiderte Finanzstrategien, die auf individuellen Bedürfnissen und langfristigen Zielen basieren, können von KI-Systemen nur schwer ersetzt werden.

Zudem erfordert die Aufrechterhaltung eines fairen und transparenten Marktes menschliche und regulatorische Aufsicht, um Manipulationen und Missbrauch zu verhindern. Regulierungsbehörden müssen hier strenge Kontrollen und Richtlinien implementieren, um die Integrität des Handels zu gewährleisten – sowohl für maschinelle als auch menschliche Akteure. So musste die US-Großbank Citigroup wegen irrtümlicher Aktienverkäufe in Großbritannien eine Millionenstrafe zahlen. Ein Fehler eines Aktienhändlers im Jahr 2022 führte zum ungewollten Verkauf von Papieren im Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar. Die britische Finanzmarktaufsicht FCA kritisierte die mangelhaften internen Kontrollen der Bank. Insgesamt muss Citigroup nun etwa 72 Millionen Euro Strafe zahlen. Der Vorfall verursachte einen fünfminütigen Ausverkauf im OMX Stockholm 30 und Chaos an europäischen Börsen, wobei zeitweise ein Börsenwert von etwa 300 Milliarden Euro vernichtet wurde (hier gelesen am 22.05.2024: Irrtümlicher Aktienverkauf – Citigroup muss Millionen zahlen, Süddeutsche Zeitung).

Fazit: Wie KI und Hochfrequenzhandel die Anlageberatung revolutionieren

In der heutigen Welt geht es nicht mehr nur um Marktgespür, sondern vor allem um Daten, Daten, Daten. Moderne Anlageberater:innen haben Zugang zu Tools, die riesige Mengen an Finanzdaten schneller analysieren können, als es ein Mensch jemals könnte. KI-Systeme durchforsten in Millisekunden Marktdaten, historische Trends und sogar soziale Medien, um die besten Anlagemöglichkeiten zu identifizieren. Hochfrequenzhandel, bei dem Tausende von Transaktionen in Sekundenbruchteilen durchgeführt werden, ist der neue Standard.

Wird dadurch der Job von Anlageberater:innen vom Aussterben bedroht sein? Keineswegs! Der Beruf entwickelt sich weiter zu hybriden Modellen, in denen menschliche Intuition und High-Tech-Analyse Hand in Hand gehen. In Zukunft werden Anlageberater:innen High-Tech-Flüsterer und Vertrauenspersonen zugleich sein. Sie werden KI-generierte Marktanalysen nutzen und diese verständlich in den Kontext der individuellen Lebenssituation und Ziele ihrer Kunden setzen. Die Kund:innen? Die profitieren von fundierteren und maßgeschneiderten Ratschlägen und können sich auf das Beste aus beiden Welten verlassen.

 

Die Bankausbildung steht vor einem Wandel durch den Einsatz von KI und Hochfrequenzhandel in der Anlageberatung. KI ermöglicht Echtzeitanalyse von Daten und schnelle Handelsentscheidungen, was von Bankmitarbeitern erfordert, ihre Rolle neu zu definieren. Technisches Wissen wird wichtiger, aber wirtschaftliches Verständnis und Marktpsychologie bleiben entscheidend. Menschliche Berater sind weiterhin nötig, um komplexe Situationen zu interpretieren und Kundenbeziehungen zu pflegen. Trotz technologischer Fortschritte bleibt das menschliche Element in der Beratung unersetzlich. Fachinformationen dazu finden Sie hier.

Personalmanagement und -führung sind aktuell die größten strategischen Handlungsfelder von Kreditinstituten, Unternehmen und Organisationen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, zu führen und nachhaltig zu binden, war selten so herausfordernd wie aktuell – und wird es auch bleiben.
Boris Nannt, Vorstandsvorsitzender der ADG, und Dr. Patrick Müller, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Technik Stuttgart, zeigen in diesem Beitrag auf, warum die erfolgreiche Steuerung einer Bank in Zukunft ohne fundierte HR-Kenntnisse nicht mehr möglich sein wird und warum gleichzeitig die Führungskompetenz von Vorständen noch stärker gefordert sein wird.

 

Ein Gastbeitrag von Sabine Birli, DG Nexolution

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