Nur wenige Unternehmen beschäftigen sich in der notwendigen Intensität mit der Entwicklung und Evaluierung eines nachhaltig tragfähigen Zukunftskonzeptes, meint Günter Althaus. Bereiten wir uns zu wenig auf die Herausforderungen der Zukunft vor?
Ein Gespräch.
Herr Althaus, zu Beginn Ihres Buches „EVOLVE MANAGEMENT“ halten Sie ein Plädoyer für den stationären Einzelhandel. Warum?
Weil die Herausforderungen des stationären Einzelhandels besonders charakteristisch sind für die gegenwärtige Widersprüchlichkeit der unternehmerischen Fragestellungen. Die Menschen wünschen sich lebendige Innenstädte, Beratung von Mensch zu Mensch, Waren zum Anfassen und zum sofortigen Mitnehmen. Und gleichzeitig kaufen Sie online. Viele stationäre Einzelhändler sind sich ihrer Stärken nicht bewusst und geblendet von den Heilsversprechungen der digitalen Wettbewerber. Die Wirtschaftsförderer der Städte haben die Gefahr der Verödung der Innenstädte erst spät erkannt und – wenn man ehrlich ist – bis heute keine wirkliche strukturelle Antwort entwickeln können.
Man kennt Sie als streitlustigen Vordenker, als jemanden, der auch mal Herausforderungen überzeichnet. Auch in ihrem neuesten Buch finden sich eine Reihe von provokativen Szenarien. Wie kommt das?
Wir haben als Untertitel des Buches „Heute für morgen Initiative entwickeln“ gewählt, um damit sichtbar zu machen, um was es uns im Kern geht: Wir wollen Mut machen, Verantwortung für morgen zu entwickeln. Wir wollen motivieren, Szenarien zu entwickeln, auch wenn sie uns nicht gefallen oder sogar schmerzhaft sind. Wir wollen Entschlossenheit fördern, zum Handeln anregen. Ja, wir nutzen hier und da auch das Stilmittel der Überzeichnung und Provokation, weil die Welt anders ist als gedacht und erhofft, um wachzurütteln, um sich einmal länger und tiefer mit unseren Herausforderungen zu beschäftigen und intensiver zu spüren, was von uns morgen verlangt wird.
Sie nennen Ihr Buch ein Workbook, ein Buch eher für den Nachttisch als für den Schreibtisch.
Der Alltag vieler Unternehmer ist geprägt von der Bewältigung der dringlichen Aufgaben. Die wichtigen Themen, die langfristigen und strukturellen Fragen werden dann eher in der Zeit „nach Dienstschluss“ behandelt. Workbook, weil das Buch nicht nur gelesen werden soll. Der Leser findet Fragen und die Möglichkeit seine Gedanken unmittelbar im Buch zu notieren.
Mit modernen, derzeit häufig empfohlenen, Managementansätzen wie New Work, Holacracy, Agilität gehen Sie eher kritisch um. Warum?
Auf Management-Buzzwords reagiere ich grundsätzlich sehr distanziert. Sie zeichnen gerne schwarz-weiß, sie führen uns gerne zu Entweder-Oder-Entscheidungen. Ich bevorzuge eher Sowohl-Als-auch-Lösungen und sehe die größeren Umsetzungschancen in hybriden Modellen. Beidhändigkeit ist gefordert: Run the business und evolve the business! Wir müssen Bestehendes optimieren, die Effektivität steigern, Routinen nutzen, um eine möglichst weitgehende Fehlerlosigkeit zu realisieren. Gleichzeitig müssen wir Bestehendes infrage stellen, radikal neue Geschäftsmodelle entwickeln und maximale Fehlertoleranz entwickeln, um (Un-)Möglichem bzw. (Un-)Vorstellbarem zum Durchbruch zu verhelfen. Wir müssen evolutionäre und disruptive Veränderungen einleiten und aussteuern – parallel! Geschmeidig anpassen und radikal erneuern – Hand in Hand!
Besonders intensiv beschäftigen sie sich mit den Themen Timing und Kommunikation. Wie können sie dabei helfen, Projekte zu verwirklichen?
Ein Kernsatz im Buch lautet „Das Bessere ist der Feind des Guten“. Der Satz stammt von dem streitlustigen Philosophen Voltaire. In vielen Unternehmen versanden Entwicklungsprojekte, bevor sie ihre eigentliche Stärke entwickeln können. Bremser und Warner stehen den Innovatoren kraftvoll und entschlossen gegenüber. Meist sind sie nicht sehr lautstark, sondern agieren im Hintergrund. Subversiv, unauffällig lassen sie Blockaden wachsen und beschreiben Hindernisse als unüberwindbar. Diesen Widerstand aufzulockern und letztlich zu überwinden benötigt Zeit. Geduld und Disziplin ist gefordert.
Ein Lösungsansatz in Ihrem Buch ist die Re-Organisation, die Trennung von Markteinheiten und Wertschöpfungsplattformen. Was genau ist damit gemeint?
Benötigt wird ein komplett neuer Organisationsansatz. Einer der Silos verhindert, der es uns ermöglicht, einfacher, schneller, besser und kundenorientierter zu werden.
Markteinheiten sind die Teile des Unternehmens, die unmittelbar im Kontakt mit den Kunden stehen, die Kunden der Wertschöpfungsplattformen sind die Markteinheiten. Wir müssen Hierarchien und einengende Kästchen abbauen und die Türen öffnen für ein Mehr an Selbstverantwortung und Selbstorganisation.
Ein Kapitel widmen Sie speziell den Genossenschaften. Wie lautet Ihre Botschaft?
Ja, das ist für uns eine Herzensangelegenheit. Für die einen sind Genossenschaften verstaubt und nicht mehr zeitgemäß – für andere wiederrum sind Selbstorganisation, Selbstverwaltung und Hilfe zur Selbsthilfe das Lebenselixier moderner Unternehmen.
Aus unserer Sicht kann ein traditionsreicher Wertekompass beim Aufbruch zu „New Work“ als Orientierungshilfe dienen: Agil sein durch ein Mehr an Eigenverantwortung, Schneller werden durch Selbstorganisation, Besser werden durch Hilfe zur Selbsthilfe. „New Work“ baut auf kleinen, überschaubaren Einheiten auf, es empfiehlt, den Experten Vertrauen zu schenken, unabhängig von deren hierarchischen Position.
Goethe würde sagen: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“
In ihrem Prolog zitieren Sie den Philosophen und Politiker Niccolò Machiavelli mit dem Satz: „Tust Du Gutes, tu es langsam. Tust Du Böses, tu es auf einmal.“ Was ist damit gemeint?
Die größte Gefahr geht in Unternehmen vom Gewohnten und Gewöhnlichen, dem Etablierten und Bequemen aus. Zukunft beginnt nicht mit der Einführung des Neuen, sondern mit dem Abschied vom Alten. Das nennen wir „produktive (Zer-)Störung“. (Zer-)Störung, die stört, aber nicht kaputt macht. Die den Mut zum Aufbruch und die Kraft entstehen lässt, sich von Hindernissen nicht abhalten zu lassen.
Wirtschaft und Gesellschaft sind im Umbruch. In einem Umbruch, dessen Tempo und Tragweite viele von uns überfordert, der Angst macht und einige von uns in Schockstarre versetzt. Mit EVOLVE Management wollen wir die unterstützen, die trotz aller Widerstände und Hindernisse handeln und Verantwortung übernehmen wollen.
Vielen Dank, Herr Althaus, für das interessante Interview.
Günter Althaus war bis 2019 Präsident des DGRV Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes e.V, des ZGV Mittelstandsverbundes sowie Vorstandsvorsitzender der ANWR GROUP. Er sieht seine Aufgabe darin, Mut zu machen, groß, unangepasst und langfristig zu denken. Er ist überzeugt davon, dass Wertschöpfung ohne Wertschätzung dauerhaft nicht möglich ist.
Mitautor von „EVOLVE Management“ ist Wolfgang Pachali. Er war bis Ende 2019 Geschäftsführer einer inhabergeführten Agentur-Holding, davor 15 Jahre lang verantwortlich für die Management-Beratung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Sein Credo: Weil das Bessere der Feind des Guten ist, müssen wir die Visionen der Game Changer mit Geschichten und Worten ausstatten, die Neugierde erzeugen, die überzeugen und begeistern.
Weitere Informationen zum neuen Buch von Günter Althaus und Wolfgang Pachali gibt es im DG Medienportal.