Ehrenamt oder Job? ist keine Frage für Marla Grayson, Protagonistin der schwarzen Satire „I Care a Lot“, in der sie als professionelle Betreuerin ältere Menschen um ihr Vermögen bringt. Der 2021 bei Netflix erschienene Film zeigt mit viel schwarzem Humor und unterhaltungstauglichen Überzeichnungen die Auswüchse eines sensiblen Themas: das Geschäft mit der Betreuung.
Wohltätigkeit als Job
Schwarze Schafe im Bereich der Vormundschaft und Betreuung gab und gibt es immer. Wenn die Film-Handlung auch Bezüge zu tatsächlichen Fällen in den USA nimmt, ist der Missbrauch und die Ausbeutung von Betreuten auch in Deutschland kein Einzelfall. Der BGH hatte mit Beschluss vom 11. Juli 2018 der ehrenamtlichen Betreuung den Vorrang gegeben, wenn zugleich auch ein geeigneter ehrenamtlicher Betreuer aus dem nahen (verwandtschaftlichen) Umfeld zur Verfügung steht. Offen ließ der BGH auch die Frage, ob eine betreute Person, die ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung hat, den Berufsbetreuer frei wählen kann. Mit der vorrangig zu behandelnden ehrenamtlichen Betreuung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, dass Berufsbetreuer mit ihrer besonderen Qualifikation denjenigen Betroffenen vorbehalten sein sollen, die deren Fähigkeiten und Kenntnisse besonders benötigen. Ob diese Regelung angesichts der zunehmenden Anzahl von zu Betreuenden in den nächsten Jahren noch Gültigkeit hat, wird sich zeigen.
Babyboomer ante portas
Die starken Geburtenjahrgänge der 1950er und 60er verabschieden sich zunehmend aus dem aktiven Berufsleben und bis zur Mitte der 2030er Jahre rücken diese Babyboomer in die Altersgruppe der ab 80-Jährigen. Laut dem Statistischen Bundesamtes (Destatis) werden in den 2050er und 2060er Jahren zwischen sieben und zehn Millionen hochaltrige Menschen in Deutschland leben. Ob deren Betreuung dann überwiegend von ehrenamtlichen Betreuern zu bewerkstelligen ist, bleibt fraglich, denn diese Generation ist öfter ledig, geschieden oder kinderlos, so dass deren Versorgung durch ehrenamtliche Betreuer womöglich nicht mehr umfassend zu leisten ist.
Mehr Selbstbestimmung für Betreute
Durch die neue gesetzliche Regelung zum 1. Januar 2023 wurde das Vormundschafts- und Betreuungsrecht insgesamt neu strukturiert. Es stärkt die Selbstbestimmung von betreuten Menschen und die Qualität der rechtlichen Betreuung. Die bisherigen Vorschriften des Vormundschaftsrechts zu Vermögenssorge, zu Fürsorge und Aufsicht des Gerichts, zum Aufwendungsersatz und zur Vergütung wurden direkt in das neue und jetzt „eigenständige“ Betreuungsrecht (§§ 1814 ff. BGB) eingeordnet und, soweit erforderlich, an die neuen Anforderungen des Betreuungsrechts angepasst.
Auswirkungen auf die Bankpraxis
Für kontoführende Institute hat dies Auswirkungen auf die Bankpraxis, von Kontovollmachten bis zur Geldanlage im Auftrag von Betreuten. So können beispielsweise Vorsorgevollmachten bei noch nicht bestätigtem Missbrauchsverdacht vorübergehend und kurzfristig suspendiert werden und Geld des Betreuten, das nicht als Verfügungsgeld benötigt wird, ist vom Betreuer auf einem zur verzinslichen Anlage geeigneten Konto des Betreuten anzulegen. Wählt der Betreuer für das Anlagegeld eine andere Anlageform als die vorgeschriebene Regelanlage auf einem Anlagekonto, bedarf er hierzu der Genehmigung des Betreuungsgerichts.
Ausblick und Schwenk zum genossenschaftlichen Grundgedanken
Eine gesetzliche Betreuung ist – altersunabhängig – für alle Menschen ab 18 Jahren erforderlich, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu entscheiden, aus welchen Gründen auch immer. Damit dies menschenwürdig erfolgen kann, wird – auch aus Gründen der demographischen Entwicklung – der Gesetzgeber zunehmend gefordert sein, die Rahmenbedingungen dafür zu gestalten, sollte sich in Zukunft gesetzliche Betreuung mehr und mehr zu einem Geschäftszweig entwickeln. „I care a lot“ darf dabei keine leere Worthülse bleiben und eine entsprechende Aufsicht ist nötig. Die Unterstützung und Förderung des Ehrenamtes ist dabei ebenso erforderlich, wie auch die Bereitung eines gesellschaftlichen Bodens für mehr Miteinander. Eben jene Grundsätze, wofür die Genossenschaften mit ihrem Grundgedanken für ihre Mitglieder stehen.
Wenn das mal kein guter Ansatz für das neue Jahr ist!
Welche Möglichkeiten es gibt, Ihre Kundinnen und Kunden zu unterstützen, haben wir Ihnen hier aufgelistet.
In der 4. Auflage des Werks „Betreuungsrecht und Vorsorgevollmacht in der Bankpraxis“ werden die neuen Regelungen bereits berücksichtigt.
Außerdem bei uns:
Der Ukraine-Krieg löste folgenschwere Ereignisse für Industrie und Wirtschaft aus und machte die daraus resultierenden Konsequenzen der Globalisierung deutlich. Das Thema wird in zwei Beiträgen in der Fachzeitschrift BankInformation – in Rückschau auf die beiden Halbjahre 2022 – behandelt. Teil 1 für die Monate Januar bis Juni lesen Sie hier. Teil 2 mit dem Rückblick auf die Wirtschaftspolitik der Monate Juli bis Dezember 2022 finden Sie hier.
Ein Gastbeitrag von Sabine Birli, DG Nexolution